Diskussionspapier für das Anti-Krieg-Bündnis-Aachen
(Stand 14.01.03)
Das vorliegende Papier von W. Wolf wollen wir in den nächsten Sitzungen diskutieren. Um es ALLEN zugänglich zu machen, stellen wir es hiermit in's Netz.

Die Aufgaben der Friedensbewegung
von Winfried Wolf

Die Bewegung gegen den Krieg hat Fortschritte gemacht. 1999 gingen wenige tausend Menschen gegen den Nato-Krieg gegen Jugoslawien auf die Straße. Mehrere zehntausend demonstrierten 2001 gegen den Afghanistan-Krieg. Im Vorfeld des drohenden Irak-Kriegs protestierten am 21. und 22. Mai 2002 am Rande des Bush-Besuchs jeweils rund 80.000 in Berlin. Im November waren es in Florenz mehr als 500.000 Menschen.
In Zukunft wird es darauf ankommen, die Antikriegsbewegung qualitativ zu stärken und zu festigen. Anderenfalls könnte, so geschehen beim zweiten Golfkrieg 1990/91, die quantitativ relativ starke neue Bewegung zusammenfallen. Sie könnte sich – siehe die Israel-“Frage” – zersetzen. Notwendig ist eine Verständigung der Antikriegsbewegung auf eine politische Basis, die prinzipiell ist und ein breites Bündnis ermöglicht. Wir sollten folgende Punkte für eine solche Plattform diskutieren:

Erstens: Die Antikriegsbewegung muß Kriege als Mittel der Politik grundsätzlich ablehnen – gleichgültig, wo und durch wen sie geführt werden.

Gemeint sind Angriffskriege, nicht die Verteidigung als Antwort auf einen militärischen Aggressor (USA, Großbritannien und Frankreich 1939) und auf militärische Unterdrückung (Antwort der FNL Vietnams auf die US-Aggression in den 1960er Jahren). Der sogenannte Kosovo-Krieg, der Afghanistan-Krieg und der drohende Irak-Krieg sind solche abzulehnenden “Kriege als Mittel von Politik”. Das trifft auf den Krieg der russischen Regierung in Tschetschenien ebenso zu. Die bisherige Geschichte der UNO zeigt, daß auch Kriege nach Kapitel VII der UN-Charta abzulehnen sind. Im UN-Sicherheitsrat haben ausschließlich imperiale Großmächte das Sagen. Dadurch werden Kriege “autorisiert”, die in aller Regel Großmachtinteressen folgen.

Zweitens: Die Antikriegsbewegung muß klarstellen, daß die Bundesregierung bereits heute beim drohenden Irak-Krieg beteiligt ist. Für Friedensfreunde steht der Kriegs-Feind immer auch im eigenen Land.

Der drohende Irak-Krieg wird ohne Zweifel von der US-Regierung bestimmt. Die Antikriegsbewegung muß jedoch ihr Augenmerk auch auf die Militarisierung und Kriegsbeteiligung durch die eigene Regierung richten: 3900 Bundeswehrsoldaten sowie Fuchs-Spürpanzer befinden sich bereits vor Ort (am Horn von Afrika; in Kuwait), die bundesdeutsche militärische Präsenz auf dem Balkan und in Afghanistan wurde als “Entlastung” des US-Militärs ausgeweitet. In der Bundesrepublik werden “Überflugrechte” gewährt, US- und britische Truppen nutzen deutsche Infrastruktur. Die Friedensbewegung hat eine Äquidistanz zur US-Regierung, zur Bundesregierung und zu den Militärs, die in Brüssel die WEU planen. Diese Antikriegsbewegung kritisiert Militarisierung und Kriege überall und “rücksichtslos”!

Drittens: Die Antikriegsbewegung betont den engen Zusammenhang zwischen Rüstung und Krieg einerseits und der sozialen Frage andererseits.

“Butter oder Kanonen” und “Wollt ihr den totalen Krieg?” – mit diesen Losungen wurde im I. und II. Weltkrieg von den Militaristen klargemacht, worum es tatsächlich geht. Rüstung und Krieg werden hierzulande finanziert durch “Sparen” bei denen, die wenig oder durchschnittlich verdienen. Kanzler Schröder verkündete die Erhöhung der Abgaben zur Rentenversicherung ebenso flott, wie sein Verteidigungsminister Struck den Kauf der Militärtransporter A400M bestätigte. 10.000 Mann und Frau Bundeswehrkräfte haben sich nach drei Monaten “Dienst” im Ausland einen Mittelklasse-Pkw finanziert. Parallel wird bei den Sozial- und Arbeitslosenhilfeempfängern weiter gekürzt. Unsere Forderung “Stoppt den Krieg!” ist Teil unseres gemeinsamen Engagements mit Gewerkschaftern gegen Arbeitslosigkeit und die neue Verelendung.

Viertens. Die Antikriegsbewegung ist sich der Dimension des drohenden Irak-Kriegs mit Blick auf den Nahen Osten und Israel bewußt. Dabei unterstreichen wir die besondere Verantwortung einer deutschen Friedensbewegung.

Ein möglicher Irak-Krieg kann die gesamte islamische Welt in Flammen setzen. Er kann Israel einbeziehen. Er kann dazu führen, daß die Regierung in Tel Aviv wahrmacht, was einzelne ihrer Minister bereits ankündigen: den massenhaften “Transfer” der palästinensischen Bevölkerung aus dem Westjordanland zum Beispiel nach Jordanien.
- Wir verteidigen uneingeschränkt das Existenzrecht des Staates Israel.
- Wir bekämpfen strikt den Antisemitismus. Wir lehnen jeden Vergleich zwischen dem aktuellen Vorgehen der israelischen Armee und der Politik des NS-Regimes ab, weil er die Dimension der NS-Verbrechen relativiert.
- Wir kritisieren die Selbstmordattentate von Palästinensern gegen Zivilisten als Teil der Brutalisierung der Gesellschaft und als Akte der Verzweiflung, die dem Ziel gesellschaftlicher Emanzipation widersprechen.
Auf dieser Grundlage kritisieren wir die Politik der Regierung Sharon und des israelischen Militärs in den palästinensischen Autonomiegebieten. Es handelt sich um die Politik eines völkerrechtswidrigen Besatzungsregimes.

Fünftens: Die Antikriegsbewegung ist international. Internationale Solidarität ist das einzig wirksame Gegenmittel gegen Rüstung und Kriegslogik.

Der Sieg der vietnamesischen Freundinnen und Freunde 1974 war Ergebnis der internationalen Solidarität. Damals wurde – z.B. auf dem Campus von Dutzenden US-Universitäten – deutlich gemacht: Nicht die USA führen diesen Krieg gegen Vietnam. Eine selbsternannte Elite von Militärs und Millionären in den USA gemeinsam mit einer kleinen Schicht in Südvietnam führt Krieg gegen die Bevölkerung in Vietnam und die Mehrheit der US-Bevölkerung. Auch heute gilt: Der drohende neue Krieg ist keiner der USA gegen den Irak oder von USA-EU gegen den Irak. Unsere Bewegung steht an der Seite der US-Bewegung gegen den Krieg, an der Seite der westeuropäischen Bewegung, der israelischen Friedensbewegung, an der Seite der Globalisierungsgegner. Bei der Antikriegsbewegung handelt es sich um konkrete INTERNATIONALE SOLIDARITÄT. Eine Friedensbewegung ohne diesen Internationalismus ist keine Friedensbewegung.

Der hier wiedergegebene Text basiert auf einer Rede, die Winfried Wolf am 26. Oktober 2002, dem Global Action Day, in der Friedrichstadtkirche in Berlin hielt.

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http://www.akb-ac -  14.01.2003