Schlußstrich Deutschland - Der ganz normale Antisemitismus

Eine Podiumsdiskussion zum Nahostkonflikt soll am 05.09.2002 im Audimax der RWTH Aachen stattfinden. Eingeladen ist kein geringerer als Jamal Karsli, ehemaliges FDP- und Grünen-Mitglied, dessen Äußerungen über das Vorgehen der israelischen Armee (“Nazi-Methoden”) und die vermeintliche Allmacht der “zionistischen Lobby” im Zuge der “Möllemann/Karsli”-Affäre vor kurzer Zeit breite Aufmerksamkeit auf sich zogen. Nach dem Skandal tritt Karsli nun wieder öffentlich auf  - ohne daß eine Aufarbeitung des Gesagten, geschweige denn eine glaubwürdige Entschuldigung erfolgt wäre – im Gegenteil, Karsli hat seine Vorwürfe ausdrücklich bekräftigt.

Jamal Karsli hatte im Mai in einem Interview in der rechtsextremen Zeitung “Junge Freiheit” den “großen Einfluß der zionistischen Lobby” angeprangert, die “den größten Teil der Medienmacht” in der Welt innehabe und “jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit “klein” kriegen” könne, wie man ja schon bei Präsident Clinton und der Lewinsky-Affäre gesehen habe.

Karsli bemühte hier das altbekannte antisemitische Klischee einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung, wie es schon lange Zeit seit der Verbreitung der gefälschten Hetzschrift “Die Protokolle der Weisen von Zion” verwendet wird. Zwar hat das offene Verkünden solcher Unsäglichkeiten inzwischen zu Konsequenzen geführt, doch sind und bleiben Karslis – und Möllemanns - Äußerungen ein Indiz dafür, dass sich ein Klima in Deutschland ausgebreitet hat, in dem antisemitische Anfeindungen und Konstrukte weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz finden.

Mit Karsli auf dem Podium sitzen werden der palästinensiche Journalist Hakam Abdulhadi und der aus Israel kommende, seit 20 Jahren in der Schweiz lebende Publizist Shraga Elam. Der Veranstalter, das "Arabisch-Deutsche Forum", bemüht sich scheinbar um den Eindruck, durch den Auftritt von Vertretern "beider Parteien" werde Einseitigkeit vermieden, und der Nahostkonflikt werde differenziert thematisiert. Mithin wurde die Veranstaltung schon als "Beitrag zur Klärung der Situation" beworben.

Doch davon ist leider nicht auszugehen. Shraga Elam ist bereits im Zusammenhang mit der Karsli-Affäre eindeutig in Erscheinung getreten, zuletzt durch die polemisch ausgerichtete [...] Unterstützungserklaerung zu einer Klage von Jamal Karsli gegen Michel Friedman und Paul Spiegel, denen Karsli "Verleumdung und Ehrverletzung" vorwirft. Elam schrieb den von Karsli verbreiteten und zur Lektüre empfohlenen Brief, der wenig und oberflächlich die gewaltsamen Verhältnisse im Nahen Osten beschreibt, dafür schamlos verfälschend die israelische Politik mit der Judenvernichtung der deutschen Nazis vergleicht. Elam tauscht darin mal eben die juedische "Shoa" durch die palaestinensische "Nakba" aus, um nachfolgend an das geschichtsträchtige "Mitschuld" -gefühl der Deutschen zu appellieren, die nichts gegen Israel täten.

Die durch die Podiumsteilnehmer Elam und Karsli getaetigten NS-Vergleiche helfen bei der Bewertung des Konflikts im Nahen Osten nicht. Sie vernebeln, sind unsachlich und historisch unhaltbar. Sie nähren vielmehr den Verdacht, die gewaltsame Realitaet im Nahen Osten ist den Herren nicht grausam genug, um ihre Nachricht durchzusetzen, die den einseitigen Protest gegen Israel einfordert.

Elams Brief war der Auslöser für das Ultimatum, mit dem FDP-Parteichef Westerwelle Vizechef Möllemann bedrängte, Karsli aus der NRW-Landtagsfraktion auszuschließen. Möllemann hingegen instrumentalisierte Karslis Äußerungen, um in populistischer Manier gegen Michel Friedman und den Zentralrat der Juden zu agitieren - der ganz normale Antisemitismus durfte endlich wieder verkündet werden.

Dabei ist auch der Anstieg antisemitischer Anfeindungen seit Möllemanns Attacken und die Zustimmung von allen rechtsextremen Parteien zu Möllemanns Positionen unverkennbar. Die Tatsache, dass auch das NRW-Innenministerium dies benannte, quittierte die FDP noch letzte Woche gegenüber Innenminister Behrens als "Brunnenvergiftung". Auch mit dem "Brunnenvergifter"- Bild hetzten bislang nur erklärte Antisemiten gegen Menschen juedischen Glaubens.

Waehrend sich die Vertreter des Zentralrat der Juden in Deutschland gegen Kritik durch Moellemann/Karsli verwahrten, Entschuldigung forderten und vor Antisemitismus und Rassismus in diesem Land warnten, warf Shraga Elam ihnen die "Tabuisierung" der Judenvernichtung, ja sogar "Rassismus" vor, der "die Deutschen – quasi genetisch - als die ewigen Täter diffamiert und die Juden als die ewigen Opfer idealisiert". Er selbst benutzt im gleichen Atemzug wieder die unhaltbaren, dafür pointierten Vergleiche zwischen NS-Tendenzen und Israel, verharmlost direkt "die Rechtsradikalen" als ein "Auffangbecken für das berechtigte Unbehagen" und wirft den deutschen Medien "Zensur" vor.

Dass es Leute gibt, die ohne Vorbehalte die deutsche Vergangenheit, insbesondere die Shoah, die industrielle Ermordung von sechs der sieben Millionen europäischen Juden, durch unhaltbare Vergleiche relativieren, ist verwerflich genug. Dass solche Leute zudem zu Veranstaltungen eingeladen werden, zeigt, daß die von Martin Walser und anderen propagierte Schlußstrichmentalität ihren festen Platz in vielen Köpfen erobert hat – nicht nur die der Rechtsextremen. Auf den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und “Schlußstrich” haben die Essener Sozialwissenschaftler Klaus Ahlheim und Bruno Heger in ihrer kürzlich erschienenen Studie “Die unbequeme Vergangenheit”, in Bezug auf Studierende, hingewiesen: "Die Schlußstrich-Mentalität, verbunden bisweilen mit einer spezifischen Form des Antisemitismus, ist unter Student[Inn]en durchaus verbreitet und inzwischen mehrheitsfähig." Von den befragten 2000 an der Uni Essen immatrikulierten StudentInnen wünschen sich ca. 1/3 den “Schlußstrich unter das Vegangene”. 17% sind der Meinung, Juden nutzten die Vergangenheit geschickt und kühl berechnend zu ihrem Vorteil aus. Diese Mentalität gehe bei vielen Studenten mit einer Haltung einher, der Solidarität eher fremd und die Last der Vergangenheit ganz einfach unbequem ist", heißt es in der Studie. Bestenfalls ist das Vergangene egal und bei der "gesunden" Identifikation mit nationalen (Macht-)Interessen hinderlich. Das korrespondiert mit einer haarsträubenden historischen Ahnungslosigkeit: 31 Prozent der Studenten wissen nicht, in welchem Jahr der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Daß diese Gruppe mit der etwa gleichgroßen Menge von “Schlußstrich”-BefürworterInnen einigermaßen deckungsgleich ist, überrascht wenig. Auch eine von Frankfurter und Leipziger Wissenschaftlern vorgelegte Studie kommt zu aufschlußreichen Ergebnissen, nach denen das Zugeständnis antijüdischer Gefühle in Deutschland innerhalb der letzten drei Jahre stark zugenommen hat. Ein Fünftel der Befragten teilt “den Juden” gar Schuld an den großen Weltkonflikten zu. Wie hatte das damals noch mal angefangen?

Auch in Aachen gedeihen Antisemitismus und Schlußstrichdenken prächtig: Hier konnte man in den letzten Wochen einem bizarren Streit zwischen den Aachener-Karnevals-Vereins-Ordensträgern Ephraim Kishon und Norbert Blüm beiwohnen. Blüm hatte zuvor im Zusammenhang mit der Möllemann/Karsli-Debatte Kritik an Israel geübt, wobei er von einem “hemmungslosen Vernichtungskrieg” sprach. Für das populistische Spiel mit antisemitischen Diskursmustern (das alte Bild vom grausamen und ungehemmt-unmenschlichen Juden) wurde er von Kishon öffentlich verurteilt. Dass durch solche Begriffe naheliegenderweise Assoziationen zum Nationalsozialismus hervorgerufen werden und dieser dadurch in seiner unvergleichlichen Grausamkeit verharmlost wird, interessierte Blüm ebenfalls nicht. Im Gegenteil: In einem “offenen Brief” verurteilte er Kritik an seiner Wortwahl pauschal als zweitrangig, da es bei diesem Konflikt um Menschenopfer gehe. Um das zu untermauern nannte er eine Reihe von Beispielen, die das menschenverachtende Vorgehen der israelischen Armee belegen sollten. Als verbindendes Element dieser Einzelfälle diente am Schluß des Briefes ein Zitat aus einem Interview mit Sharon von 1982, in welchem dieser u.a. erklärt, sein Ziel sei es, “ [...] so viel als nötig an Arabern zu töten, sie zu deportieren, sie zu vertreiben und zu verbrennen...”. Allerdings ist besagtes Interview nicht mit Sharon geführt worden, sondern mit einem nicht näher bezeichneten ranghohen Militär. Der für das Interview verantwortliche  Schriftsteller Amos Oz hat inzwischen bekräftigt, daß es sich bei dem rätselhaften Interviewpartner keinesfalls um Sharon handle. Nichtsdestotrotz verbreiten weiterhin zahlreiche antisemitische Internetseiten das vermeintliche “Sharon-Interview” – Blüm befindet sich also in “bester Umgebung”. Doch unsachliche Argumente erscheinen offenbar den wenigsten anstössig, und so bietet die gerade gelaufene Auseinandersetzung und die Solidarisierung vieler AachenerInnen mit Blüm das ideale Klima für eine Veranstaltung mit Karsli und Elam. Wenig überraschend zudem, daß auch das "Arabisch-Deutsche Forum" Auszüge aus dem vermeintlichen Sharon-Interview, trotz zweifelhafter Quellenlage, verbreitete.

Zu guter(?) letzt erhält die Podiumsdiskussion noch besondere Legitimation durch die Teilnahme von Dr. Jürgen Jansen, der die Diskussion “moderieren” will. Dr. Jansen ist Angestellter am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH und taucht in dieser Funktion auf der Veranstaltungsankündigung auf. Offenbar sind für Dr. Jansen die besagten Diskutanden seriös genug; deren unverantwortliches Verhalten scheint nicht ins Gewicht zu fallen. Dass sich ein Politologe auf ein politisch derart zweifelhaftes Theater einläßt, zeigt deutlich die einseitige Sympathie für “die Palästinenser”, um die Dr. Jansen nie einen Hehl gemacht hat. Parteinahme ist nicht zu verurteilen. Verhältnisse, insbesondere gewaltsame, sind so zu beschreiben wie sie sind.

Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung durch israelische Behörden, Terrorisierung palästinensicher Menschen bis hin zu den Liquidierungen durch die israelische Armee, die agressive Siedlerpolitik gehören genannt und betrachtet.

Genannt und detailliert betrachtet gehören auch die permanente Todesandrohung für Israelis durch Selbstmordanschläge (auch durchgeführt von Arafats Fatah), darunter zählen die gezielten Terroranschläge gegen völkerübergreifende Initiativen und Bildungseinrichtungen (wie zuletzt der Bombenanschlag von Hamas auf die Hebräische Universität in Jerusalem), dazu gehören die Liquidierungen von "AbweichlerInnen" innerhalb eigener Reihen, dazu gehört die seit der Staatsgruendung Israels existente Bedrohung durch seine Nachbarstaaten.

Maßlose Übertreibungen, Verfälschungen und bedingungslose Einseitigkeit, wie sie mit den provokativen Nazi-Vergleichen einhergehen, klären nicht – sie verhindern die wenigen Verständigungsmöglichkeiten - verhindern so auch Friedensansätze. Wenn die Moderation die innerdeutsche Dimension unsäglicher Nazi-Vergleiche und antisemitische “Spielereien” nicht für kritikwürdig erachtet, ist das nicht nur ein Armutszeugnis, sondern unverantwortlich und gefährlich.

Vielmehr zielen solche Argumentationen auf eine (verbale) Eskalation des Konflikts ab. Wie eine über die gezielte Ausnutzung des in Deutschland nicht nur latent vorhandenen Antisemitismus beworbene einseitige Unterstützung einer Seite in friedlichem Interesse sein kann, ist schwer begreiflich. Warum werden nicht die Waffenlieferungen Deutschlands in die Region  thematisiert, bevor man militärischen Beistand deutscher Truppen für die “eigene” Seite fordert? Warum werden die deutschen Machtinteressen nicht genannt, die ein wichtiger Hintergrund für ein Eingreifen im Nahostkonflik im Rahmen eines internationalen Einsatzes sein dürften, und in einem weitgehend entlasteten “Schlußstrich-Deutschland” immer stärker zu Tage treten? Warum muß eine aufheizende Provo-Veranstaltung an die Stelle ernsthafter Diskussionen im Interesse eines dauerhaften und stabilen Friedens treten? Die Antwort kennen wohl nur die Veranstalter. Oder auch nicht.

AStA der RWTH Aachen – Anti-Kriegs-Bündnis Aachen


Auflage: 400, Erscheinungsdatum 04.09.02
zurück zum AKB-Startmenue


http://www.akb-ac -  31.12.2002