In den letzten Jahren sorgte die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg
- Verbrechen der Wehrmacht", für Aufsehen: Nazis und Konservative
mobilisierten Aufmärsche gegen diese Ausstellung, weil sie die "Ehre
des deutschen Soldaten" besudelt sahen. Der Grund ist einfach: Auch wenn
die Darstellung der weitgehend ungebrochenen Verbindungen zwischen Wehrmacht
und Bundeswehr in der Ausstellung peinlichst vermieden wurde, so räumt
sie jedoch mit dem Mythos der sauber und ehrenhaft kämpfenden Truppe
auf der einen und den bösen nationalsozialistischen Machthabern auf
der anderen Seite auf. Sie dokumentiert, daß die Wehrmacht aus eigenen
Antrieb (und nicht erst auf Befehl der Nazis) die schlimmsten Kriegsverbrechen
verübten.
Dieser Mythos ist jedoch für das Selbstverständnis der BRD
und insbesondere der Bundeswehr zentral. Dreh- und Angelpunkt dafür
ist das Hitler-Attentat führender Wehrmachtsoffiziere um die Symbolfigur
Stauffenberg vom 20. Juli 1944.
Angesichts der neuen Rolle der Bundeswehr wieder weltweit Kriege zu
führen, wird dieser Mythos erneut bemüht. Aus diesem Grund wurde
die pro-Wehrmachts-Ausstellung "Aufstand des Gewissens" von 1984 vor drei
Jahren neu überarbeitet und letztes Jahr in der Frankfurter Paulskirche
wiedereröffnet.
Wehrmacht und Faschismus – „Der selbe geistige Stamm“
Das Bild, das dabei transportiert wird und sich in den meisten Köpfen
festgesetzt hat, ist, daß der Widerstand gegen Hitler im wesentlichen
von der Wehrmachtsführung ausging. Nichts könnte die Realität
mehr entstellen.
Hitler selbst hat das öffentlich noch anerkannt, als er es gar
nicht mehr nötig hatte: "Wir wissen alle genau, wenn das Heer nicht
in den Tagen der Revolution auf unserer Seite gestanden hätte, dann
ständen wir heute nicht hier"1.
General von Blomberg als neuer Reichswehrminister verkündete 1933
vor den versammelten Befehlshabern die endgültige Abkehr von der Weimarer
Republik, der sie alle die Treue geschworen hatten. In der Republik habe
man sich unpolitisch verhalten müssen. (Das „Unpolitischsein“ war
schon damals ein Feigenblatt für rechte Einstellungen.) Aber das "Unpolitischsein
hatte ja nie die Bedeutung, daß wir mit dem System der früheren
Regierung einverstanden waren: Es war vielmehr ein Mittel, uns vor zu enger
Verstrickung in dieses System zu bewahren...Jetzt ist das Unpolitischsein
vorbei und es bleibt nur eins: der nationalsozialistischen Bewegung mit
voller Hingabe zu dienen"2.
Alle Zeugnisse deuten darauf hin, daß dies die Stimmung der Reichswehr
war. Auch die Männer des 20. Juli machte keine Ausnahme - im Gegenteil:
Oberst Beck, der in den Aachener Nachrichten vom 15. September 99 wohlwollend
zitiert wird, hatte schon 1930 einen NS-Wahlsieg in Thüringen gefeiert
und sich so unverblümt geäußert, daß er verabschiedet
werden sollte3. Auch Leutnant Claus Graf von Stauffenberg feierte
1933 öffentlich an der Spitze eines Demonstrationszuges in Bamberg
den Machtantritt der Nazis4.
Das ergab sich nicht zufällig. Zwischen Wehrmacht und Faschismus
bestand in den politischen Auffassungen und Zielen zwar keine Identität,
aber doch einen enge Verwandtschaft. Nach Feldmarshall von Brauchitsch
war es "selbstverständlich, daß die Gedankengänge des Nationalsozialismus
von Anfang an bei keiner Gemeinschaft mehr Bejahung fanden als beim Offizierskorps...Wehrmacht
und Nationalsozialismus sind des selben geistigen Stammes5."
Beide bekämpften die bürgerliche Demokratie und die Arbeiterbewegung.
Beide idealisierten die militärische Ideologie und waren für
eine starke Staatsmacht und Armee, sowie für die Gewinnung von "Lebensraum"
im Osten, um die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitalismus
durchzusetzen.. Hitler vertraute der Reichswehr auch vollkommen. Nur wenige
Tage nach dem Machtantritt entwickelte Hitler den Generälen sein Programm
in aller Offenheit. Eine endgültige Lösung der gegenwärtigen
wirtschaftlichen Krise sei nur durch die "Eroberung neuen Lebensraumes
im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung" möglich. Voraussetzung
dafür sei "straffste autoritäre Staatsführung, Beseitigung
des Krebsschadens der Demokratie,...Ausrottung des Marxismus mit Stumpf
und Stiel6."
Die Generäle wußten also was kam. Sie billigten es nicht
nur, sondern unterstützten es mit aller Kraft. Alle, aber auch alle
brachen ihren Schwur auf die Weimarer Verfassung - inklusive der Männer
des 20. Juli. Entlassungen, um die Wehrmacht gleichzuschalten, waren nicht
notwendig.
Als in den ersten Wochen nach Hitlers Machtantritt schon zehntausende
Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten verhaftet, Dutzende ermordet
wurden; als die Folterkeller ein öffentliches Geheimnis waren und
die ersten KZ eingerichtet wurden, da regte sich kein Offiziersgewissen
- im Gegenteil: Die Wehrmacht stand Gewehr bei Fuß. Ihr Gewissen
erwies sich hier und im Kriege als sehr strapazierfähig. Die Bindung
an einen Eid, ob nun auf eine Verfassung oder einen „Führer“ ist ihnen
eine Sache der politischen Zweckmäßigkeit und nicht des Gewissens.
Retten was zu retten ist – der 20.Juli
Der Bruch zwischen den Offizieren des 20.Juli und der Naziführung
vollzog sich an ganz anderen Fragen. Sie betrachteten Hitler trotz geistiger
Verwandtschaft als einen Emporkömmling, politischen Abenteurer und
militärischen Amateur. Es ist richtig, daß der Generalstabschef
Ludwig Beck 1938 vor dem Krieg gewarnt hat. Aufschlußreich ist jedoch
seine Begründung:
„Wenn man die Augen und Ohren offen hält, wenn man sich durch
falsche Zahlen nicht selbst betrügt, wenn man nicht im Rausch einer
Ideologie lebt, dann kann man nur zu der Erkenntnis kommen, daß wir
zurzeit wehrpolitisch (Führung, Ausbildung und Ausrüstung), wirtschaftspolitisch
und stimmungspolitisch für einen Krieg nicht gerüstet sind7.“
(Hervorhebung Beck).
Zurzeit! Das Ziel des Krieges prinzipiell begrüßend, kritisiert
Beck lediglich die militärische Aussichtslosigkeit 1938, eine rein
taktische Kritik. Sein Aufruf an die anderen Generale gegen Hitler zu putschen
blieb ungehört. Pikanterweise beriefen sich die Generale auf ihren
Führer-Eid, um einen Putsch gegen Hitler abzulehnen, nachdem sie fünf
Jahre zuvor den Eid auf die Weimarer Verfassung gebrochen hatten. Wie ernst
Hitler solche Art des „Widerstands“ genommen hat, zeigt die Tatsache, daß
Beck zum Generalobersten ernannt und in den Ruhestand versetzt wurde, während
ansonsten jede noch so zaghafte Opposition direkt in die Folterkammern
oder KZ wanderte.
Die in den ersten Monaten 1939 stattfindenden Staatsstreichdiskussionen
unter führenden Wehrmachtsoffizieren befürchteten alle eine drohende
Niederlage in einem Krieg. Dies änderte sich schlagartig nach dem
militärischen Erfolg Deutschlands in Frankreich 1940. So schrieb der
damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Freiherr Alfred
von Weizsäcker (der Vater des Bundespräsidenten a.D. Richard
von Weizsäcker):
„Auch diejenigen Generale, die vor dem 10. Mai 1940 einer Offensive
gegen Westen abgeneigt waren, sind jetzt von ihrer Zweckmäßigkeit
überzeugt, sprechen abfällig über den Gegner und wollen
nicht mehr gern an ihre früheren Urteile erinnert werden8.“
Das Gewissen blieb im Falle des militärischen Erfolgs erstaunlich
ruhig. Auch beim anschließenden Überfall auf die Sowjetunion
sollte sich das zunächst nicht ändern. Erst als sich Ende 1942
die deutsche Niederlage bei Stalingrad (im ursprünglichen Ausstellungsführer
als „Katastrophe“ bezeichnet) abzeichnete und allmählich klar wurde,
das Deutschland den Krieg verlieren würde, regte sich das Gewissen
wieder und Putschpläne wurden geschmiedet.
Die ganze Unaufrichtigkeit und Charakterlosigkeit der Verschwörer
des 20. Juli zeigt das Attentat selbst. Obwohl er persönlich völlig
ungeeignet war, mußte Stauffenberg die Bombe selbst legen. Es fand
sich kein anderer. Aufgrund von Kriegsverletzungen – ihm fehlten unter
anderem einige Finger – hatte er Mühe den Bombenzünder einzustellen.
Aus Zeitmangel konnte er im entscheidenden Augenblick vor der Tat auch
nur eine statt der beiden Bomben schärfen. Die Gruppe des 20. Juli
wagte nicht einmal, offen ihre Ziele zu verkünden. In ihrem Aufruf
schoben sie das Attentat einer „gewissenlosen Clique frontfremder Parteiführer“
in die Schuhe. Zu Recht hielt Churchill nichts von dieser ‚Widerstandsbewegung‘,
„die weder den Willen zum Handeln noch den Mut zum offenen Hervortreten
gezeigt habe9.“
Die antidemokratischen Ziele des 20. Juli
Aufschlußreich sind auch die politischen Vorstellungen des 20.
Juli für die Nach-Hitler-Zeit. Das Programm blieb bis zuletzt reaktionär
und antidemokratisch. Der Verfassungsentwurf von Ulrich von Hassel aus
dem Jahre 1940, der die Zustimmung der entscheidenden Oppositionellen fand,
sah schlicht eine Militärdiktatur vor. Von freien Gewerkschaften,
Demokratie oder bürgerlichen Rechten war überhaupt nicht die
Rede. Popitz ging noch weiter und wollte soziale Unterstützung nur
denen geben, „die ihre Pflichten für Volk und Staat erfüllen".
Wissenschaft, Lehre und Kunst seien so weit zu beschränken, „als es
die Sicherheit nach außen und innen und die gebotene Ehrfurcht vor
den geistigen und sittlichen Gütern des Volkes erfordern". In manchen
späteren Entwürfen waren zwar Wahlen vorgesehen, nicht aber gleiches
Wahlrecht. Familienväter sollten zwei Stimmen besitzen und familiäre
Fruchtbarkeit mit weiteren Stimmen für zusätzliche Kinder belohnt
werden - abzugeben natürlich von den zeugungsfreudigen Vätern
und nicht etwa den Müttern10.
Eines der zentralen Dokumente dieses ‚Widerstandes‘ wurde Anfang 1943
- zu einer Zeit, als der Holocaust bereits in vollem Gange war - auf Initiative
Dietrich Bonhoeffers und mit Wissen Goerdelers vom „Freiburger Kreis“ erstellt.
Die Denkschrift enthält einen Anhang mit dem Titel „Vorschläge
für eine Lösung der Judenfrage in Deutschland“. Darin wird behauptet,
auch ein nachnationalsozialistischer Staat sei berechtigt, Schritte zu
unternehmen, „um den unheilvollen Einfluß einer Rasse auf die Volksgemeinschaft
zu wehren“11.
Dies sind die Vorstellungen der Männer, in deren Tradition die
Bundeswehr offiziell gesehen werden möchte.
Ermordet und Ausgelöscht - der Widerstand von unten
Glaubt man dem offiziellen staatlichen Geschichtsbild, für das
diese Ausstellung beispielhaft ist, entsteht der Eindruck, als ob der Widerstand
gegen das Dritte Reich im Wesentlichen von den Gruppen des 20.Juli getragen
wurde. Am Rande wird noch die Weiße Rose erwähnt. Weitgehend
totgeschwiegen werden der Widerstand von unten, Gruppen wie die Rote Kapelle,
der jüdische Widerstand oder Individuen wie Georg Elser, der alleine
am 8.November 1939 einen Sprengstoffanschlag auf Hitler mit weit mehr Einsatz
und Konsequenz ausführte, als alle Offiziere des 20. Juli.
1933 standen praktisch alle staatstragenden Kräfte, Großindustrie,
Wehrmacht, Polizei, Justiz, Beamtenbund, Kirche, Kleinbürgertum und
Studentenschaften auf Seiten Hitlers. Widerstand kam zu dieser Zeit praktisch
nur aus der einfachen Bevölkerung. Bei den letzten schon längst
nicht mehr freien Betriebsratswahlen im April 1933 erhielten die faschistischen
Kandidaten nur 11.7% der Stimmen. Ein Jahr später, als jede offene
Opposition schon unmöglich geworden war, erhielten die NS-Listen nur
25%.
Die organisierte Widerstandsbewegung war, sieht man von einigen christlichen
Gruppen ab, die im Widerspruch zur offiziellen Kirche standen, überwiegend
kommunistisch und sozialistisch. Der 20.Juli war eine Randerscheinung12.
Rund drei Millionen Deutsche waren zu irgendeiner Zeit aus politischen
Gründen in Haft, davon 800.000 wegen aktiver Widerstandstätigkeit.
Im Zusammenhang mit dem 20.Juli sind 700 Personen verhaftet worden. Noch
in jedem der drei Monate vorher wurden zwei- bis dreimal so viele Kommunisten
verhaftet, wie insgesamt die Opfer des 20. Juli ausmachen.
Obwohl der 20.Juli den Zielen des Nationalsozialismus nicht sehr fern
stand, kennt jeder den Namen Stauffenberg als Hitler-Attentäter. Wer
aber kennt Georg Elser? Kein Denkmal erinnert an ihn. Statt dessen wird
seit Jahren die Erinnerung an den Widerstand von unten gegen das dritte
Reich systematisch ausgelöscht. Schulen, Straßen, Jugendherbergen,
die den Namen antifaschistischer Widerstandskämpfer trugen wurden
umbenannt, so die Liselotte -Herrmann-Hochschule in Guestrow, die Grete
-Walter-Jugendherberge in Stralsund oder das Heinz-Kapelle-Ufer in Berlin.
Nicht besser erging es den Wehrmachtsdeserteuren. Mindestens 20.000
wurden durch deutsche Kriegsgerichte verurteilt und hingerichtet. Deserteure,
die sich einer drohenden Hinrichtung zur Wehr setzten und fliehen konnten
wurden nach ihrer Rückkehr in der BRD verurteilt. Bis heute werden
hingerichtete Deserteure nicht eindeutig als Opfer des NS-Regimes betrachtet.
Dies ist kein Wunder: Mit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen
Angriffskrieg Deutschlands auf Jugoslawien wurde eine neue Etappe weltweiter
Kriegseinsätze eingeleitet. Wer sich einem solchen Verbrechen als
Soldat entziehen will wird nach wie vor hart bestraft. Auch diejenigen,
die während des Krieges zur Desertion aufriefen sehen sich anhaltender
Strafverfolgung ausgesetzt.
Wir protestieren dagegen, dass sich die Bundeswehr unter dem Deckmantel
des Antifaschismus
und mit dem Image des Widerstands weltweit an Kriegseinsätzen
beteiligt!
Bundeswehr raus aus dem Kosovo und Ost-Timor!
Aachener Antikriegsbündnis
Veranstaltungen:
Zum 60. Jahrestag des Anschlags von Georg Elser auf Hitler wollen wir
die Filme „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ und „Der Attentäter“
zeigen.
Das Aachener Antikriegsbündnis trifft sich jeden ersten und dritten Montag im Monat im „Agora“ (Mozartstr., Ecke Reumontstr.).
Anmerkungen:
1 Manfred Messerschmidt: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der
Indokrination, Hamburg 1969, S.21
2 Wolfgang Sauer: die Mobilmachung der Gewalt, in: Karl Dietrich
Bracher/Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung,
Köln und Opladen 1960, S.730
3 Sauer:...Gewalt, S.737
4 Carsten: Reichswehr..., S.449f
Dieses Ereignis wird von anderen Autoren bestritten. Entscheidend
ist aber nicht, ob die Zustimmung zum NS-Regime derart demonstrativ ausgedrückt
wurde, sondern daß sie ganz unumstritten ist.
5 zitiert nach Messerschmidt: Die Wehrmacht..., S.224
6 Sauer:...Gewalt, S.719
7 Ausstellungskatalog, S.68
8 Ausstellungskatalog, S.94
9 Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der
Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1970, S.141
10 Zitiert nach Hans-Jürgen Schulz, Militarismus und
Kapitalismus in der Bundesrepublik, Frankfurt 1977, S. 93
11 Zitiert nach Daniel J. Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker,
Berlin 1996, S.146
12 In Aachen haben seit 1997 einige Dutzend Bürgerinnen
und Bürger „Wege gegen das Vergessen“ ausgearbeitet. Sie fanden aus
der Zeit des Hitlerfaschismus überall Spuren von Widerstand und Verfolgung,
doch im Militär war Widerstand nicht zu entdecken.
10/1999 Auflage: 800